Auf der ersten Ebene der unterirdischen Haltestelle am Aegidientorplatz stehen vereinzelt Menschen. Sie schweigen. Vorne am Bahnsteig in Richtung Stadtmitte steht ein älterer Mann in einer jägergrünen Jacke. Er starrt einen weißen Fleck auf dem Ziegelstein-Boden an. Dann schabt er mit seiner rechten Turnschuhspitze mehrfach über den Fleck. Der Fleck bleibt. Der Mann zieht seinen Fuß zurück.
Auf der gegenüberliegenden Seite des Bahnsteigs stehen zwei junge Frauen, eine von ihnen hat einen Bluetooth-Lautsprecher bei sich. …doch am Abend werd‘ ich schwach hallt es durch die Ebene. Ein scharfer Luftzug verschluckt den Beat, die Stadtbahn nach Sarstedt fährt ein. Die Türen öffnen sich, es knallt in den Ohren. Aus dem Wagon steigen zwei junge Männer, der hintere hält den vorderen an seiner schwarzen Lederjacke.
– Alter, was machst du?
– Wir müssen hier raus.
– Aber hier waren wir doch schon!
– Niemals!
– Ich sag’s dir: Wir waren hier schon drei Mal.
– Im Leben nicht.
– Alter, merkst du’s noch? Schau dir mal den kack Boden an – da hinten hast du eben gekotzt.
Der Junge in der Lederjacke schaut in die angezeigte Richtung. Aus seinen Schultern weicht jegliche Spannung.
– Fuck. Sind wir etwa im Kreis gefahren?
– Darauf kannst du einen lassen.
– Fuck, Mann.
Er lehnt sich an den Fahrplanaushang zwischen den Gleisen. Der andere stellt sich vor ihn. Beide wirken erschöpft.
– Und wie kommen wir jetzt nach Hause?
Der andere zuckt ergeben mit den Schultern. Die Musik wird lauter. Das Mädchen mit dem Lautsprecher stellt sich neben die beiden Jungs. If you liked it then you should put a ring on it ist jetzt wiederholend zu hören. Sie studiert den Fahrplan, dabei schnalzt sie mit der Zunge. Sie wendet sich den Jungs zu.
– Wohin wollt ihr denn?
– Roderbruch.
– Dann müsst ihr eins tiefer.
Die beiden schauen sich an. Der mit der Lederjacke boxt den anderen auf die Brust.
– Hier gibt es ein ‚eins tiefer‘?
– Ja klar, Mann!
– Geiler Scheiß.
Sie drehen sich zur Treppe und rennen nach unten. Der alte Mann mit der Jägerjacke schaut ihnen nach. Kafkaesk, murmelt er.
Erstveröffentlicht auf Stadtnotizen.