Stille, ein Gefühl des Aufgeregtseins, des Entrücktseins, des Dort-, nicht des Hierseins. Lesesaal, Ruhesaal. Möbel im Bauhausstil, klare Farben, zurückgenommen; niemand da. Das Surren einer Anlage, scheinbarer Wind, Zäsur; das Knarzen des Stuhles beim Hinsetzen, Zurücklehnen.
Die Suche nach exakten Beschreibungen, nach Worten, die das begreifen, was ist. Kein Geruch, aber der Wunsch nach Strenge, die Möbel: herausgerissen aus einem Schlaf. Keine Begriffe für Klarheit, keine Worte für Glasfenster und Kuben. Ein, ein, aus, atmen. Die Finger in das Polster drücken, Knautschzonen ausmachen, versuchen, Struktur zu erfassen., Warten, bis jemand kommt. Darf jemand kommen? Ist es erforderlich, dass jemand kommt? Muss es zwingend ein zu zweit geben im Raum? Aber dann auch: Muss es Raum geben? Dazu, entfernt eine Stimme aus dem Off: »Wie weit muss in die Vergangenheit zurückgegangen werden, um die jüngste Vergangenheit vergessen zu können?«* Der Blick in den Hof, hier: gewölbt, Skulptur. Einzelne Wirbel der Skulptur mit den Augen abtasten, fühlen, wie es sich fühlen könnte. Der Wunsch nach Nahtlosigkeit, und dann doch: nach einem zu zweit und keinem Raum. Der bewusste Griff nach Übereinstimmung, dem Weltverständnis in einem Satz: »romantisch überzeichnete Ausdrucksmittel« und »magische[r] Realismus.«**
Und dann, ganz abrupt, geht von links die Tür auf. Ein Mann betritt den Raum. Er trägt einen schwarzen Anzug und einen verkabelten Stöpsel im Ohr. Er schaut verwundert, nickt dann unmerklich, lässt die Tür ihr Übriges tun, geht durch den Raum, seine schwarzen Schuhe quietschen, er schaut auf den Boden, er bleibt unvermittelt stehen, scharrt mit dem linken Schuh, nachdrücklich, es geht nicht weg, er wartet, entscheidet, belässt es, geht weiter, öffnet die Tür – und zwar eine andere. Sie fällt krachend ins Schloss. Irgendwo wird gelacht, und jemand sagt: »Ach komm. Das ist doch Gelsenkirchener Barock.«***
Quellen der Zitate in der Reihenfolge ihrer Erwähnung:
*Peggy Buth: Leute wie wir. Altenessen, Karnap, Rheinhausen, Marxloh, Bredeney, 2017. 3-Kanal-HD-Projektion, Farbe, S/W, 2-Kanal-Stereo Sound.
**Ausstellungstext im Raum Neue Sachlichkeit, Sammlung Museum Folkwang. Vollständiger Satz: »Sie (die Vertreter der Neuen Sachlichkeit, Anm. d. V.) nutzen romantisch überzeichnete Ausdrucksmittel und entwickeln einen magischen Realismus.«
***Annett Gröschner, Autorin.
Erstveröffentlicht auf stadt-land-text.de