Er ist nur noch in zwei Dimensionen vorhanden, von oben sieht es aus, als habe er erst kürzlich den Versuch aufgegeben, auf der Stelle zu laufen – oder fort. Zwei Polizisten knien neben ihm, durchsuchen seine Jacken- und Hosentaschen, auf dem Trottoir liegen schon Schlüssel und Portemonnaie. Vorsichtig lehne ich mich aus dem Fenster. Ich meine zu erkennen, dass er eine spitz zulaufende Nase hat und einen Dreitagebart. Habe ich jemals einen Menschen bar jeder Fiktion ernsthaft und mit der gesamten Tragweite des Eingriffs in Handschellen so nah an mir und meinem Sein gesehen? (Ja.) Meine Neugier fällt vom Fenstersims und in den muffeligen Nachmittag. Nicht einmal der zimmertemperaturwarme Wind schafft ein Lüftchen. Auf dem Weg nach Hause hat mich eine Frau gegrüßt, dabei ließ sie den Stiel ihres Besens los, griff ins Leere und dann noch einmal daneben, ihre Augen und ihr Mund teilten sich den Ausdruck des Überrumpeltseins und einer für ihr Leben oder den Moment gewählten Sorgloskeit. Sie hatte die Straße gefegt vor ihrem Geschäft, es war geöffnet trotz fehlender Kundschaft, wie auch die Bäckerei, der Blumenladen sowie drei aufeinanderfolgende Spätis. Ich denke an den mir nach wie vor unbekannten und auch in der Erinnerung gesichtslos gebliebenen Mann, der während der ersten Lockdown-Welle in der Erdgeschoss-Wohnung im Seitentrakt eines im Hobrecht-Stil angelegten Berliner Wohnhauskomplexes gegenüber des Büros der Hausverwaltung so lange vor sich hinweste, bis etwas durch die Decke in das darunter liegende Kellerabteil suppte, das zumindest sagten damals die Nachbarn im großen Abstands-Rund auf dem rechteckigen Innenhof, in der Mitte die Mülltonnen und sorgsam abgeschlossene Fahrräder, Polizei und Schläuche, Dunkel- und ein Kessel voller Betroffenheit. Jetzt sehe ich weitere Polizeibeamte. Mit Taschenlampen schauen sie unter parkende Autos. Sie fragen im anliegenden Park flanierende Menschen, einer zeigt ihnen etwas, das sie nicht sehen, er geht mit ihnen zu einem Punkt auf der anderen Seite des grünen Platzes, dann kehrt er allein zur Parkbank zurück, setzt sich hin und vertieft sich wieder in sein Buch. Zwei Kinder schaukeln unter der Beobachtung von vier erwachsenen Personen. Ein Paar liegt sich schmusend in den Armen. Jemand rückt seine Brille zurecht. Nicht einen Satz höre ich. Ich koche Kaffee. Ich esse ein Lebkuchenherz. Alles schmeckt nach nichts, meine Sinne kleben mit der Intensität ungewöhnlicher Eindrücke auf der matschpappbraunen Neujahrs-Straße. Offenbar finden zehn Polizisten nicht, was sie suchen. Der Mann am Boden darf sich aufrichten. Dann vergeht eine Stunde. Es gibt kein erzählbares Ende der Geschichte, und getwittert hat die Polizei auch nicht.