Sie trägt die Bommel rechts und links. Die Mütze ist rosafarben, alles andere dunkel gehalten. Taillierte Daunenjacke, Leggings, hochgezogene Adidas-Socken, Nike-Schuhe, zwischen dem linken Zeige- und dem linken Mittelfinger eine brennende Zigarette. Der Arm gerade zum Körper, die Hand ausgeklappt, ein kleiner, kokelnder Flieger. Über der rechten Schulter eine Handtasche mit kurzem Griff. Zuerst aber höre ich sie. Sie ist noch nicht da, als ich nach oben schaue, was ich jedes Mal tue, wenn ich die U-Bahn-Station verlasse. Ich schaue auf den ziegelsteinroten Turm des Roten Rathauses und spiele Film. In einer Einstellung (nicht blinzeln) von der Totalen zur Halbtotalen, wie steht der Wind, was macht die Stofflichkeit, die Uhrzeit ist zweitrangig. Heute wieder drei statt zwei Sicherheitsleute, gestern hielt ein Passant einen langen Monolog, Inhalt mir unbekannt. Freundlich-stoisches Zuhören, beruhigen durch Nichtstun, schönen Tag wünschen, warten, bis er gegangen ist – was man erlebt, als Sicherheitsmensch. Wie damit umgehen? Erzählen, kommentieren, schweigen, vergessen? Und was ist mit der abgewiesenen Person? Wie viel mal abgewiesen werden ist eine Abweisung zu viel? Und was passiert dann? Jetzt trippelt sie an mir vorbei. Unterdrücktes Lachen, dazwischen laute Rufe, ungefähr so: lachen Hey! Heeey! lachen Jetzt warte doch auf mich! lachen Bleib stehen! an der Zigarette ziehen, hüsteln, lachen Heeeeeey!!! Ich verstehe nicht, wen sie meint. Da ist eine Schulklasse, die spannungslos vorm Rathaus steht, die kann es nicht sein. Da ist eine Frau, sie telefoniert. Ein Mann, der durch eine Kamera blickt. Ein weiterer Mann, der über die Kreuzung geht, die Ampel zeigt rot. Die Ampel zeigt rot! Ist es ein Beziehungsstreit? Ignoriert er sie absichtlich? Sein Gang ist zackig, schnell und klar. Er schaut weder nach links noch nach rechts, schon gar nicht nach hinten. Er ist schon fast im Nikolaiviertel. Die beiden Bommel wackeln aufgeregt. Ich denke an Emma Myers als Enid und an Emily in Paris. Ich wünschte, sie würde nicht rennen. Es ist ihr ja auch sichtlich peinlich, dieses Gerenne und Gerufe. Kann die Zigarette auch nicht retten. Allerdings hat sie sich entschieden für den Impuls, und das ist nun auch irgendwie schön. Emily-Enid schafft es über die Kreuzung, sie läuft mit ausgebreiteten Armen auf eine kleinere Frau mit vermeintlich schwerem Rucksack und entsprechender Haltung zu. Die schaut müde und, wie ich finde, entgeistert. Atemlos lachend erzählt Emily-Enid, dass sie die ganze Strecke gerannt sei, und du hörst und siehst mich nicht! Die Rucksack-Frau macht den Eindruck, als wäre ihr das auch weiterhin lieb. Die Szene enttäuscht und erleichtert mich zugleich. Ggf. Serienauswahl überdenken, setze ich mir als Notiz. Dann biege ich in die Straße Am Nussbaum ein.