
lang seufzt der tag zwischen den zeilen stumm liegen verbrauchte ausrufezeichen in den nachkriegsschluchten der stadt ein semikolon ach
man ist und ist allein
begeht schreibend städte
lang seufzt der tag zwischen den zeilen stumm liegen verbrauchte ausrufezeichen in den nachkriegsschluchten der stadt ein semikolon ach
man ist und ist allein
du kannst alles tun, was ich bin
am ende geißle ich trotzdem deine interpunktion, weil es eben
doch nur ein du und immer nur ein ich geben kann. dabei
misstraue ich dem du; mein verhältnis zum ich ist klar
für den hunger verschlinge ich zu gerne dein wir.
ein er, eine sie, eine sie, ein er
irgendwas daran erklären, das morgen keinen bestand mehr hat
bei aller liebe zum narrativ: das funktioniert so nicht. meine welt ist
auf filmischen sümpfen gebaut, hier bist du ein du und ich
das führende ich. oder du mein ich und ich dein du,
hab ja auch nichts gegen einen switch. kommst du vorbei, mach ichs
uns gemütlich, mach ichs uns warm. willst du was mit mir
zu tun haben, musst du dich darauf einlassen. und wenn du am ende
nicht gehst, gehe ich für dich. dann folgt satz auf satz
ein immer lauter werdender schrei, dann schreie ich in ICH
und es ist mir gleich, was er denkt oder sie oder ihr. bis ich wieder
zahm werde in mir, mich in meinen sümpfen versenke, und ein nächstes mich reizt.
bleibst du über, ist das dein versehen.
Misanthropisch beschwipst, ich sage spaßbefreit, und wieder jemand, der sich wünscht, sich in mir sehen zu können. Dabei auch wieder ich, die den goldverzierten Spiegel sucht im anderen. Ich kenn dich doch, sagt er und zerrt an meinem Haar. Wir kämpfen im Abstand um Nähe. Wir bluten, wir zeigen blitzblank geputzte Zähne. Vielleicht bist du Mensch, sagt er, die Faust an meinem Kinn. Vielleicht bin ich Medium, sage ich, die Hände auf dem Rücken. Es regnet und der Besitzer des kleinen Imbisses an der Ecke feiert das Ende des Ramadan. Er sagt: Kommt rein. Er sagt: Esst mit mir. Lebt mit mir. Und nun seid, was ihr im Inneren zu werden wollt, hier, an einem zufällig ausgewählten Fensterplatz mit Blick auf eine Straße, die ihr nie mehr passieren werdet, nicht zu zweit.
I’m glad to know that Ramadan is over, schreiben wir unseren Unbekannten. I’m glad to know that we can feed our hearts onces more again.
Wir tanzen in der Stille unserer Sehnsüchte. Ich möchte mich verlieren, deine Ängste sind bewegliche Zäune aus Beton. Ich kann noch so viele Früchte in Würfel schneiden, du gibst nicht mehr als den Moment. Du liebst mit den Augen, sagst du, in der Betrachtung eines alten Gebäudes. Niemand hat es mehr bezogen, es ist so schön und so leer wie wir beide in der verzerrten Spiegelung einer schlecht ausgeleuchteten Schaufensterfront. Und vielleicht ist nichts wahrer als das, sage ich, schon wieder auf dem Weg. Über die Brücken einer bebenden Stadt.
Haben Sie etwas Kleingeld? Ich muss das wechseln. Wenn Ihnen
jemand eine Rose schenkt ist das der blaue Himmel
du willst dich setzen hier der Schatten eines Baumes mir bleibt
die Sonne ein Jogger läuft nah am Wasser; wenn man am Fluss sitzt und nicht drüber schleicht ist er kristallklar
Kinder schreien Wind durch dein Haar
rundherum liegen fleischige Berge
ein Boot fährt 2x
Kassen klingeln in der Bahnhofstraße wir trinken
die Rathauszeiger ticken wir trotten
Altstadt weißer Brunnen Fröschengasse
Wärme rieselt aus deiner Hand
krabbelt in meine vermengt die Stadt
Haltestellenfieber
zwei blauweiße Würmer ein schneller Kuss
du in die eine ich in die andere und heute weiß ich
das war unser letzter Tag
zuerst (so ähnlich) erschienen in „Gedichtekarussell“, Heft 2, August 2008, Thema: Stadt. Redaktion: Monika Haake, Torsten Voßberg, David Damm.
Manchmal denke ich noch an dich und dein Fahrrad, das nostalgisch Schwarze, für das du dich entschuldigtest, jedes Mal, wenn wir uns trafen und ich nicht verstand, du hattest dich doch einmal entschieden dafür und wenn es für den Abschied noch nicht so weit war, warum solltest du es bereits öffentlich beklagen, dich suhlen in der durch deine Unsicherheit erzwungenen Abwertung, die du auf andere und andere so unweigerlich auf dich übertragen? Natürlich nickte ich, natürlich sagte ich Ja und Doch. Als wir uns küssten, hielt meine Hand den Rahmen und du schon unseren Abschied unterm Kinn.
In Schmargendorf sehe ich dein Fahrrad. Deine tretenden Beine, den Oberkörper lenkend vornüber gebeugt, im schweren Haar den Wind; vor einem Jahr stand ich an der Kreuzung, die wir teilten miteinander, einmal. Ich rauchte und rauchte zu viel und hoffte und hoffte auch nicht, du schautest nach draußen. Du erzähltest mir von deinen nächtlichen Fahrten, deinem Schlingern und Hadern durch die Begrenztheit des Ortes, dem stoischen Versuch, die Stadt auszukreisen aus dir. Wie viele Nächte? Wie viele Fragen? Hey! Was tust du hier? Was treibt dich um? Dieser Mann ist schon drei Mal um den Brunnen gefahren, dieser Mann ist mir unheimlich nun.
Du glaubtest, sie würden deine Streifzüge zählen, sich hinter den Scheiben die Nasen zerdrücken und in den eigenen Atem das Urteil verkünden: Die Sorge hat an seiner Wiege gestanden, daher hat er das alte Gesicht.*
Ich glaube nicht mehr an das Vermeintliche, ich sehe nur dein Fahrrad in Schmargendorf. Es steht jetzt abgeschlossen vor der Fleischerei, fröhlich streckt das havelländische Apfelschwein seinen Bauch in die Spiegelung des bunten Rundbeetes auf dem Berkaer Platz. Bitte die Post beim Fleischer abgeben, in der Rösterei gibt es Kaffee von einem piefigen Gesellen. Du hättest fluchend das Beet umrundet in mondlosen Nächten, du hättest nicht gewusst, wohin mit dem schicksalsergebenen Druck in der Brust. Zur Dorfkirche, den kleinen Gräbern und den beiden Grünfinken, die sich um die Gestecke jagen, ist auch Frühling, ja. Oder warten vor dem backsteinblöden Rathaus, bis wir es irgendwann doch selbst verlassen würden, schwarz und dick vermählt, hastig mit Konfetti beworfen, du mit deinem altem Gesicht und ich, ich altere nicht.
*Zitat aus: Hermann Sudermann: Frau Sorge (1887)
was soll ich denn anfangen mit mir, sagst du. denn, sagst du, wenn ich nicht arbeite, dann sitz ich nur rum. dann sitz ich zuhaus und komm ins denken. ins denken komm ich und ins sehnen. du, sagst du, man sehnt sich nicht gut, im denken und dann auch noch bei sich, zuhaus. ich glaub ja schon an die milde der zeit und ja! an unseren kuss in der bremer straße, an den auch. aber dann ist wieder schichtbeginn, ich leck dir miefig dein müdes haupt und, sagst du, dann bin ich dir eben auch nur das: ein tier, in guter kleidung.