Wange

Im Zufall angekommen, kleinschrittig durch den Kiez. Starte ich morgens vor sieben, bin ich bekannt. Aktentasche, Hund, das Kind. Es gibt angehängte Lebensentscheidungen und Gründe dadurch, so früh unterwegs zu sein. Und doch ist es etwas Ungewöhnliches, hat es etwas Unerhörtes – in diesem Kiez. Schicksalsgemeinschaft, sage ich in Ermangelung einer besseren Umschreibung für das wohlige Gefühl, das in mir entsteht, wenn die andere Person nickt, nachbarschaftlich grüßt, lächelt auch. Jemand sagt, er möge die Ruhe der Stadt, morgens vor sieben. Ich sage, ja. Ja, die mag ich auch.

Der Herbst ist nun da, ganz plötzlich, und mit ihm die sanfte Melancholie ungesagter Dinge. Ich gehe ins Kiez-Kino und lasse mir meine Karte stempeln, schaue eine Doku über Frauen (Die Unbeugsamen 2). Ich gehe in die Kiez-Buchhandlung, die schließen wird, nach 28 Jahren, kaufe mir einen Roman über Frauen in einem Kloster (Agustina Bazterrica: Die Nichtswürdigen). Es ist schon das zweite Buch über Frauen in einem Kloster (Laura Groff: Matrix). Ich gehe heim. Mache mir ein Bier auf und nehme mir vor zu schreiben. Nun schreibe ich, und es ist mein Leben, von dem ich mich also auch tippend nicht abgrenzen kann, ja gar nicht will, dann ist das hier eben Logbuch, unmittelbar und wahr, eingeloggt für heute, also schön.

Die Wange hab ich mir durch Zufall erwählt (Zufallswörter-Generator). Ich denke, Wangen müssten immer fest sein und straff. Gespannt wie aufgezogenes Leder, und glatt. Es müssen ja Tränen davon abperlen können, und Schweiß. Grober Dreck und fahle Angst. Schichten von Make-up und Sonnencreme. Die Hitze der Erwartung, das Verdunsten von Freude. Knackiges Fleisch, und ein bisschen auch wie dicke Spachtelmasse. In die ich hineindrücke, wenn sie halbtrocken ist. Zwischen Daumen und Zeigefinger verreibe. Zäh und weich. Weich. So sind dann Wangen auch. Weil das Alter die Fasern auseinander zieht, und wann waren wir eigentlich jung.

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