Erker

Es mag ein Zauber liegen auf diesem Tag, der mit klirrender Kälte überzogen ist und Wintersonne. Der Wind pfeift Tränen in die Augen; im Undurchdachten läuft es sich gut. Zum Ende hin wird die Gegend urban, und wer nun den Blick hebt, der wird das Mädchen sehen, das dicht hinter dem Fenster eines Erkers sitzt, im ersten Stock eines rostbraunen Mehrparteienhauses. Zuerst sieht es so aus, als würde es den Kopf gegen die Scheibe heben, das Kinn voran – doch da ist ein Spiegel und in seiner rechten Hand ein dickborstiger Pinsel.

Damit tupft es sich über die Wangen, die Stirn, die Nase. Gründlich tut es das, die Lippen sind gespitzt und seine Haare liegen eng geflochten am Hinterkopf. Die wissende Sorgfalt beim Pudern steht im Widerspruch zu seinem Alter und der Figur, die neben dem Mädchen am Fenster klebt; leer schaut der Kodama auf die Straße, verloren in seiner magischen Funktion, er weiß es längst. Vielleicht rattelt er noch, nachts, in der Hoffnung, einen fernen Waldgott begrüßen zu können, doch Prinzessin Mononoke gibt es nicht mehr. Jemand hat sie vom Wald in die Stadt gebracht, vom Märchen in die Welt der TikTok-Tutorials und jetzt sitzt sie da und bemalt sich neu.

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