Zaun

Auf das krause Haar den Hut, der Sehnsucht ruft. Raus in die Stadt und schau! Da sitzen sie noch alle vor ihren Hütten, an herausgetragenen Holztischen, auf dazu gewürfelten Sitzgelegenheiten, mit Karaffen voll Wein – auf dem Bürgersteig; hier passend zum Bild und für das eigene Lebensgefühl: Trottoir. Sie sprechen von letzten Sommertagen, spielen bei jeder neuen Einfahrt der U5, U8 oder U Lieblingszahl das sorgsam platzierte E-Piano zwischen den Gleisen, lassen auf dem weiten Feld die Drachen steigen, hüpfen mit der Zigarette im Mundwinkel unabgeascht an der Bäckerei vorbei, wollen noch einmal raus. Noch einmal raus.

Ich tanze in der ersten Reihe.
Ich werde die erste sein, die geht.

Wir stehen vor der Absperrung am Ende der Straße, die wir nicht absehen konnten, wir hatten das Ziel im Blick, das Gelände aber nicht erkannt. Nun sind wir fünfzehn Minuten umsonst gelaufen, sagt meine Begleitung mit Blick auf Handy und Uhr, Himmel und die Bahnstation am Horizont, und dann haben wir uns auch noch verlaufen. Ich sage: Nein. Ich sage, Verlaufen in Städten, das gibt es nicht. Es gibt Begrenzungen, ja. Es gibt die Grenzen der anderen und die von anderen. Es gibt zurecht getrampelte Pfade, nicht zu Ende finanzierte Straßenverläufe, unüberblickbare Baustellen, Privateigentum. Es gibt Firmengelände. Es gibt Zäune mit Schließanlagen. Es gibt besetzte Parkbuchten mit klein gezimmerten Häuschen, davor fein drapierte Kunstwerke aus gesammelten Nordic-Walking-Stöcken, es gibt den atmenden Menschen darin und es gibt Ratten am Wegesrand. Aber ein Verlaufen in dieser Stadt, das gibt es nicht. Meine Begleitung erhöht das Tempo, ich bemerke ihre aufkommende Panik und auch Ungeduld, es ist dunkel und wir sind allein. Einmal bin ich größer als jemand und ich spüre, wie es ist, weniger Schritte gebrauchen zu müssen als die Person neben mir. Es fühlt sich an als würde ich gleiten. Keine Energie brauche ich dafür, nur das Staunen über den Unterschied, der mir so selten auffällt, dabei möchte ich groß sein, manchmal größer als alle. Meine Träume handeln von stoffbezogenen Stühlen, auf die ich steige, mit den Schuhen, um meinem Gegenüber an die Nase zu fassen und zu sagen: mit mir nur auf Augenhöhe.

Jetzt regnet es. Jemand hat die Ampelanlage verlegt. Es wird nicht grün. Ich schaue nach links rechts links, sage, da kommt ja nichts und laufe los. Auf der anderen Seite drehe ich mich um. Da stehen sie und folgen nicht. Ach, denke ich, dann ist es jetzt so. Dann ist der Sommer vorbei.


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